Dhamma Interviews
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Geht in die Wälder, Berge und Höhlen!
Interview mit dem Waldmönch Ajahn Martin Piyadhammo (erschienen in Buddhismus aktuell 4/2012)
Angst ist keine hilfreiche Emotion. Sie trübt den Geist. Andrea Liebers sprach mit Ajahn Martin Piyadhammo über die Ursachen der Angst, wie man ihrer gewahr werden und sich von ihr befreien kann. Wahre Furchtlosigkeit ist für ihn nur in der Einsamkeit zu erreichen.
Buddhismus aktuell: Das Gegenteil von Furchtlosigkeit ist Furcht bzw. Angst. Was passiert im Herzen, wenn es ängstlich ist?
Ajahn Martin Piyadhammo: Es zieht sich zusammen. Ein ängstliches Herz ist geschlossen und lässt nichts hinein. Wenn wir zum Beispiel ein gefährliches Tier treffen, dann zieht sich unser organisches Herz zusammen. Weil wir Angst vor körperlichen Schmerzen haben und vor allem natürlich vor dem Tod. Deshalb können wir bedrohlichen Situationen auch nicht offen gegenüberstehen. Angst ist eine von den Kilesas (Pali; Sanskrit: Klesha, den Geist trübende Leidenschaft) erzeugte Emotion, die uns beherrscht.
Dauerhaft?
Dauerhaft. Aus Angst vor dem Alter gehen wir zu medizinischen Vorsorgeuntersuchungen oder schließen Versicherungen ab. Angst ist eine Grundemotion, die uns zu vielen, vielen Dingen treibt. Aus Angst vor dem Tod vermeiden wir auch alles Mögliche. Wir setzen uns zum Beispiel nicht ins Auto, ins Flugzeug oder in den Zug. Aus Angst vermeiden wir Situationen, die uns unangenehm sind, wir gehen Menschen aus dem Weg, die wir nicht treffen wollen, wir setzen uns nicht mit Dingen auseinander, die uns beunruhigen.
"In dem Moment, wo du Gier und Hass überwunden hast, ist die Angst auch weg."
Aus Angst schneidet man sich also vom Leben ab?
Ja, aus Angst sind wir engherzig. Das Gegenteil wäre ein offenes Herz, das alle Situationen offen annimmt. Was auch immer kommt, ob das nun ein Tiger ist, ein Tsunami oder ein Flugzeugabsturz. Wenn wir mit einem offenen Herzen in die Situation hineingehen könnten, dann ... Aber wer kann das? Wir haben ja alle Angst vor dem Tod. Da musst du jemanden finden, der keine Angst vor dem Tod hat. Wie viele Dinge tun wir unbewusst aus Angst vor dem Tod?
Der Dhamma soll ja unter anderem dazu da sein, aus dieser Angst herauszukommen. Wie soll das gehen?
Indem man erst einmal die Angst überhaupt mitbekommt. Sich überhaupt gewahr ist, was in einem vorgeht.
Was ist denn das Gegenteil von Angst?
Ich würde sagen, es ist Courage. Keine Angst vor nichts und niemandem zu haben. Doch welches Lebewesen hat keine Angst? Alle Wesen leben in Angst, vor allem wir Menschen. Wenn wir jemanden sehen, der krank ist, haben wir Angst, dass auch wir krank werden könnten. Sehen wir jemanden sterben, haben wir Angst, dass der Tod uns treffen könnte. Unterbewusst ist diese Angst immer da.
Also die Grundangst, das eigene Leben zu verlieren?
Ja. Und die Grundangst bei der Meditation ist, sich zu verlieren. Deshalb kommen die meisten nicht in die tiefe Meditation. Weil sie Angst haben, dass sie selbst aufhören zu sein, wenn die Gedanken weg sind. Descartes hat gesagt: "Cogito ergo sum" ("Ich denke, also bin ich"). Wenn ich nicht denke, bin ich nicht. Die Angst, das Denken loszulassen, die Angst, überhaupt loszulassen – das ist doch alles Angst. Wir können nicht wirklich offen sein, weil wir immer Angst haben. Einige haben Angst, dass man sie ausnutzt, andere, die Fußmatte der Nation zu sein, ihren Job zu verlieren, die Partnerin oder den Partner zu verlieren ... Angst bestimmt unser Leben. Noch mehr das westliche als das asiatische.
In der Meditation hat man also Angst, die Kontrolle zu verlieren?
Ja. Wir sind doch alle Kontrollfreaks. Gleichzeitig wenden wir uns doch der Meditation zu, um aus diesen Ängsten herauszukommen, um aus dem Angsttraum zu erwachen. Das wollen alle. Tja! Die Leute wollen schon aus "Dukkha" (Leiden) erwachen, ja, aber sie sind nicht bereit, dafür dieses oder jenes aufzugeben.
Aus Angst?
Nein, nicht unbedingt. Es gibt ja auch noch Gier und Hass, und dann gibt es die Verblendung. Angst ist keine der grundlegenden Kilesas. Gier und Hass sind es. Angst verbirgt sich innerhalb von Gier und Hass. Es ist eine Mischung. Der erhabene Buddha hat ganz klar gesagt: Gier, Hass und Verblendung halten uns im Daseinskreislauf gefangen. Da kommt keine Angst, keine Furcht und kein Hochmut vor. In dem Moment, wo du Gier und Hass überwunden hast, ist die Angst auch weg. Wovor solltest du noch Angst haben, wenn du nichts zu verlieren hast oder wenn es dir nichts mehr ausmacht, etwas zu verlieren oder zu gewinnen, und du die Dinge so nimmst, wie sie sind – wo soll da Angst herkommen?
Das wäre dann Furchtlosigkeit.
Ja, wer aus der Illusion, aus dem Traum erwacht, ist furchtlos. Nur solange wir träumen, haben wir Angst. Wenn wir die Augen aufmachen, sehen wir, dass da gar kein Monster ist. Wo soll also die Angst herkommen? Wir aber sehen an jeder Ecke Monster. Diese Monster müssen ja keine Geister sein. Die Angst vor der Zukunft ist auch ein Monster. Angst vor Krankheit ist ein solches Monster. Sie flüstert uns ein, dass wir sterben müssen. Derjenige, der keine Angst mehr hat, der nicht mehr an diesem Leben klebt, der ist furchtlos. Der kann die Dinge natürlich auch beim Namen nennen. Und wer erwacht ist, der sieht natürlich auch viel mehr. Das kann er den Menschen gar nicht alles erzählen, sie würden ihn für verrückt halten.
Kann man sich vornehmen, furchtlos zu sein?
Nein, das kannst du nicht. Du kannst dir nur vornehmen, die Furcht zu überwinden. Dafür ist Gewahrsein die Voraussetzung, und das kannst du dir vornehmen – in den Momenten der Angst versuchen, dein Herz aufzumachen. Die ersten Male wirst du merken, wie fest es ist, richtig verkrampft. Dann kannst du versuchen, diesen Krampf zu lösen, wie man bei einer verkrampften Hand einen Finger nach dem anderen löst, sodass sie ein bisschen offener wird. Dann merkst du: Plötzlich kannst du wieder atmen.
Wie kann ich das in kleinen Schritten trainieren?
Ohne Gewahrsein kriegst du das nicht hin. Wenn du nicht merkst, dass dein Herz verkrampft, dann brauchst du erst gar nicht anzufangen. Du reagierst ja sofort automatisch: Du kommst in eine bedrohliche Situation und schwups, erschrickst du. Wenn du deiner gewahr bist, dass du merkst, wenn du erschrickst, dann schau hin und mach dein Herz auf. Und das ist wirklich nicht leicht. Das tut nämlich noch mehr weh.
Wie soll das gehen?
Kannst du deine Faust aufmachen?
Ich muss sie aufmachen wollen.
Du brauchst also eine Absicht. Wollen allein reicht nicht. Du kannst wollen und wollen und wollen. Wenn du kein Signal sendest, dass die Faust sich aufmachen soll, macht sie sich nicht auf. Wollen allein führt zu nichts. Nur mit der Absicht der Tatkraft und der Durchführung öffnen wir unser Herz. Es ist natürlich viel einfacher, die Hand zu öffnen als das Herz. Aber man kann es. Warum es die Menschen nicht machen? Weil es wehtut. Dann müssen sie nämlich den Schmerz, den sie durch das verkrampfte Herz abblocken, fühlen. Die Angst und die Furcht und den Schmerz.
Kann es ein Training sein, sich furchterregenden Situationen auszusetzen?
Aber natürlich. Sich zum Beispiel auf den Pfad eines Tigers zu setzen oder an den Rand eines Abgrundes oder in Höhlen zu gehen, in einsame Gegenden, die von allen Menschen gemieden werden. Da kommt die ganze Angst hoch. Der erhabene Buddha hat ja nicht gesagt, wir sollen in den Klöstern bleiben. Er hat gesagt, da sind die Höhlen, da sind die Berge, da sind die Wälder, das sind die furchterregenden Plätze, die von den Menschen gemieden werden. Da geht ihr hin. Und nicht in Gruppen, sondern allein, um dort zu praktizieren. Wenn du dir die Geschichten anschaust, sind alle "Arahats" (vollendete Heilige) oder Buddhas in den Höhlen oder unter dem Baum erwacht. Und das waren einsame Plätze. In der Meditationsgruppe, da kannst du nicht erwachen.
Ohne Einsamkeit ist die Furchtlosigkeit nicht zu realisieren?
Ohne Einsamkeit kannst du die Furchtlosigkeit nicht erringen, weil du deine Ängste und deine Vorstellungen gar nicht siehst. Sie haben keine passenden Gelegenheiten, hervorzukommen und
sich zu zeigen. Du kannst ja in der Einsamkeit auf niemanden etwas projizieren, und dein Hass und deine Gier kommen trotzdem hoch. Dann musst du lernen, damit umzugehen. Du kannst nicht schnell ins Dorf rennen, dir deine Schokolade oder dein Eis kaufen, mit anderen sprechen und dann wieder zurückgehen. Als Mönch kannst du nicht einfach davonrennen. In vielen Fällen sind die Plätze, an die man sich zurückzieht, auch eineinhalb oder zwei Stunden von der Zivilisation entfernt; da muss man sich seinen Ängsten einfach stellen.